Mehrjährige einschlägige Berufserfahrung; in der Lage, große Teams zu führen; Umgang mit Komplexität; methodische Kenntnisse und fließend in mindestens zwei Verkehrssprachen… Die Anforderungsprofile an Führungskräfte stellen in der Regel ein anspruchsvolles Potpourri dar. Charakterstärke findet man hier jedoch nicht aufgelistet. Warum eigentlich? Ein Gespräch mit dem US-amerikanischen Forscher und Unternehmensberater Fred Kiel.
ZOE: Charakter war vor zehn Jahren kein großes Thema, we- der in der professionellen noch der gesellschaftlichen Debatte, heutzutage wird er thematisiert. Was rückt den Charakter in den Mittelpunkt der Beschäftigung mit Führung?
Kiel: Ich bin nicht sicher, ob ich zustimmen würde, dass es vor zehn Jahren kein Thema war. Es war nur so, dass es früher wenig Verständnis hinsichtlich eines sehr wichtigen Punktes gab: Wer man als Führungsperson ist, ist viel wichtiger als das, was man kann, also die Fähigkeiten. Dass das nicht erkannt wurde, hat dazu geführt, dass Führungspersonen seit jeher große Fehler begangen haben. Wir belohnen charakterschwaches Ver- halten bei Spitzenführungskräften und das ist immer noch wie ein Fluch. Die Finanzkrise hat vieles zu Tage gefördert, das zeigt, welchen Einfluss Charakterschwäche in Spitzenpositionen auf Unternehmen und die Öffentlichkeit hat, und auch die Medien sind sehr empfindlich geworden für dieses Thema.
Seitdem wir unsere Forschung publiziert haben, bekommt unser Buch weltweite Aufmerksamkeit, weil wir Daten und Beschreibungen zu etwas veröffentlicht haben, von dem jeder intuitiv weiß, dass es stimmt: Die erfolgreichsten Unternehmen werden von Menschen geführt, denen man vertraut! Wenn man sich ansieht, wie Vertrauen entsteht, wird klar, dass es daher rührt, wer man ist – also vom Charakter.
ZOE: Wie tickt das menschliche Gehirn, wenn es darum geht, den Charakter anderer einzuschätzen?
Kiel: Jeder beurteilt den Charakter der Leute, denen er begegnet und mit denen er interagiert. Wir tun es unmittelbar – es mag auf einem intuitiven Level geschehen, aber wir tun es – und dann entscheiden wir über die Frage «Wie weit werde ich dieser Person vertrauen?»
ZOE: Wie definieren Sie Charakter und die Rolle, die er in der Wertschöpfung eines Unternehmens spielt?
Kiel: Sämtliche Führungsforschung der letzten Jahre hat sich auf den Aspekt der Qualifikationen konzentriert. Wir dagegen haben die, «Wer + Was»-Formel. Wir postulieren, dass unsere Forschung zeigt: Für die Bilanz ist viel wichtiger, wer man als Person ist, als was man kann, also die Qualifikationen. Die akademische Forschung über betriebliches Rechnungswesen hat die Faktoren aufgegliedert, die die Gesamtkapitalrendite, das universelle Maß der Rentabilität für jede Organisation, bestimmen und schreibt ca. 30 Prozent dem Führungseffekt zu.
Seit Jahren versuchen Forscher herauszufinden, was genau diese 30 Prozent Führungseffekt ausmacht. Bisher lag der Fokus auf den Qualifikationen von Führungskräften beziehungsweise auf einer Liste anderer Eigenschaften wie Bildung oder Persönlichkeitsmerkmalen. Nichts davon betrifft tatsächlich die Führungskraft – diese Dinge sind belanglos. Beim Charakter geht es nicht um die Persönlichkeit. Beim Charakter geht es darum, wer man im Inneren seines Herzens ist, welche Gewohnheiten man sich seit seiner Kindheit zu eigen gemacht hat und wie man mit anderen Leuten umgeht und interagiert, ob man dabei Vertrauen herstellt oder nicht. Es gelang uns, eine Forschungsmethode zu entwickeln, die es ermöglicht, einen Wert zu berechnen, der die Charakterstärke einer Einzel- person oder eines Führungsteams ausdrückt. Um ihn zu generieren, definiert man die Verhaltensweisen, welche charakter- starke Menschen an den Tag legen. Dann werden Personen in ihrem Umfeld hierzu befragt und man erhält einen Wert, der zeigt, wie oft sie diese Verhaltensweisen zeigen.
ZOE: Was hat Sie dazu gebracht, Ihre Forschung auf die charakterlichen Gewohnheiten an der Spitze von Unternehmen zu konzentrieren?
Kiel: Die Anfänge dieser Forschung gehen zurück auf die späten 1990er Jahre, als Emotionale Intelligenz (EI) eine neuartige Idee war und schnell von vielen angenommen wurde. Einer meiner Kunden war Leiter eines etwa 17.000 Mitarbeiter um- fassenden Vertriebsteams. Er nutzte Bestandsaufnahmen von Emotionaler Intelligenz dazu, neue Vertriebsmitarbeiter auszuwählen und zu schulen, weil man im Unternehmen einen eindeutigen Zusammenhang feststellen konnte zwischen EI und besseren Verkaufsergebnissen. Er fand dann heraus, dass es im Vertriebsteam eine Teilgruppe gab, die hohe Werte hin- sichtlich der mit EI in Verbindung stehenden Qualifikationen erreichte – und doch auf der Integritätsskala schlecht ab- schnitt.
Wir erkannten, dass es etwas Fundamentaleres gibt als Emotionale Intelligenz und nannten es Moralische Intelligenz. Das war der Startschuss zu einer zweijährigen Mission mit dem Ziel, herauszufinden, was zum Thema Moralität und Charakter bereits untersucht wurde.
ZOE: Wie haben Sie im Kontext Ihrer Forschung «Charakter» operationalisiert?
Kiel: Im Feld der Kulturanthropologie hatte Donald Brown 1991 sein wegweisendes Buch namens «Human Universals» herausgebracht. Aus der darin definierten Liste universeller Verhaltensweisen, Anschauungen und Praktiken, die sich in allen menschlichen Kulturen finden, wählten wir vier aus, die für Führungskräfte besonders wichtig sind: Integrität und Verantwortlichkeit für den Kopf, Versöhnlichkeit und Mitgefühl bzw. Empathie für das Herz. Wir schlussfolgerten, dass diese grundlegenden, in jedem Menschen angelegten Eigenschaften einen erheblichen Einfluss auf die Geschäftsergebnisse haben, wenn sie stark ausgebildet sind.
Wir haben dann angefangen, diese Verhaltensweisen zu messen und ausreichend Daten zu erfassen, um diese Aussage zu untermauern. Nachdem wir unsere Methodik definiert hat- ten, gelang es tatsächlich, den Charakter-Teil der Datenerhebung auf 25 Fragen zu reduzieren. 25 Verhaltensweisen, die – kombiniert zu einer gewichteten Einzelnote für das Team und den Teamleiter – eine höhere Profitabilität, ein niedriges Unternehmensrisiko und ein hohes Maß an Mitarbeiterengagement erwarten lassen. Unsere Forschung basiert auf einer soliden Untersuchungsmethode, verankert in den Neurowissenschaften und der Kulturanthropologie ebenso wie in der theoretischen Rechnungswesensforschung.
ZOE: Was genau messen Sie, wenn Sie Charakter bewerten?
Kiel: Man kann Charakter als das verstehen, was man im Her- zen hat, und das vermessen wir nicht. Das ist die subjektive Erfahrung des Einzelnen und es gibt keine Möglichkeit, da heranzukommen. Was wir erfassen, ist vielmehr das äußere Abbild dessen, was im Herzen ist. Wir messen das Verhalten, von dem wir annehmen, dass es den Charakter reflektiert. Dies impliziert das Konzept von Wandel und Entwicklung.
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Charakterwahrnehmung im Alltagsbewusstsein
Menschen bedienen sich vier Kategorien, wenn sie über Verhalten nach- denken. Wir nennen sie Universelle Moralische Prinzipien, diese sind wert- geschätzt von allen menschlichen Kulturen. Um zu entscheiden, ob man einer anderen Person vertrauen kann, fragt man sich:
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